Haushaltsrede der GOL-Fraktion zur Haushaltssatzung 2022

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, werte Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, liebe Kolleg*innen, verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich darf für die GOL die Stellungnahme zum Haushaltspan 2022 abgeben und mich gleich zu Beginn bei Ihnen, Frau Winder und Frau Eisele, und ihrem ganzen Team in der Kämmerei für das vorgelegte Zahlenwerk mit allen Erläuterungen, die es erst verständlich machen, bedanken. Nie zuvor, zumindest nach meiner Erinnerung, war ein Haushaltsplan so früh, das heißt schon noch im alten Jahr, fertig, eine sehr respektable Leistung.

Die GOL, die Grün-Offene Liste in Wangen war immer die politische Gruppierung mit den Wurzeln in den Fragen von Umwelt- und Naturschutz, heute unter Klimaschutz zusammengefasst, etwas umfassender formuliert auf der Basis ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Ich schicke das hier voraus, weil manche vielleicht den Eindruck haben, es sei um unser Engagement in den letzten Monaten etwas stiller geworden, von uns kämen keine diesbezüglichen Anträge oder Impulse mehr und will das im Weiteren etwas differenziert erläutern.

Zur Ökologie also folgende Aspekte:

Erstens wartet von uns noch ein Antrag auf die Antwort durch die Stadtverwaltung, nämlich die Aufforderung, die Stellungnahmen zum Thema Klimarelevanz in den Vorlagen für den Gemeinderat einheitlicher und professioneller zu gestalten. Kurz, es geht um das sogenannte „Klimakästchen“. Der Kern des von uns angefügten Kriterienkatalog zu dessen Erarbeitung: da gibt es bei der Klimarelevanz auch einen Schmerzpunkt, bei dessen Überschreiten alternative Vorgehensweisen oder Verzicht auf die Maßnahme angezeigt ist, z.B. beim Versiegeln von Flächen. Auf die Bereitschaft zu solch alternativer Denkweise in Verwaltung und Rat warten wir noch, ich hänge unseren Antrag zur Erinnerung gerne nochmals an.

Zweitens hat die GOL die Tugend der Geduld gelernt, wobei mich immer wieder die Frage umtreibt, wieviel Geduld das Klima mit uns noch haben wird, ein bisschen mehr vielleicht als das Corona-Virus, das unsere Köpfe und Herzen derzeit leider weiterhin besetzt hält, aber 2040, das Jahr der selbstverordneten und vorgeschriebenen Klimaneutralität im Sinne des Pariser Abkommens, rückt näher. Zur Sache: etwa zwei Jahre, nachdem wir vehement Verbesserungen für den Radverkehr eingefordert haben, hat sich in 2021 wirklich viel getan. Optisch gut erkennbare Radschutzstreifen, Aufstellflächen, Bordsteinabsenkungen und weitere Abstellplätze sind an vielen Stellen in der Stadt entstanden und erhöhen objektiv und subjektiv das Sicherheitsgefühl und laden zum Radeln in der Stadt ein. Unsere Botschaft, dass der Anteil des Fahrrad- und des Fußgängerverkehrs in Zukunft eine ganz andere Rolle spielen werden, ist angekommen und das freut uns sehr. Großes Lob an das Tiefbauamt, Herr Ritter und alle Mitstreiter*innen dort, ganz ehrlich und gar nicht ironisch!

Drittens sind wir bereit, die Dinge selbst mit in die Hand zu nehmen: das winzige Fenster für einen Halbstundentakt, das unsere letztjährigen gemeinderätlichen Vorgaben für den künftigen Betrieb der Stadtbusse offen gelassen haben, wurde von uns in einer sehr, sehr guten Zusammenarbeit mit Herrn Anders im AK Mobilität und den künftigen Betreibern des Stadtbusses genutzt. Unsere Stadt bekommt ab 1. Januar 2022 einen Busverkehr auf vier Basislinien in modernen 19 Sitzer-Bussen. Aus diesem Grundkonzept heraus werden wir mit Hilfe der sich einstellenden Erfahrungen alle anderen Parameter flexibel weiterzuentwickeln helfen: die genaue Linienführung, die Lage der Haltestellen und die Taktung mit den durch den Landkreis bereit gestellten Schnell- und Regio-buslinien zwischen Ravensburg, Wangen, dem Westallgäu-Klinikum und Isny und dem seit gestern elektrifizierten Bahnverkehr auf der Allgäubahn mit den Halten an unserem sicher bald in neuem Glanz erstrahlenden Bahnhof. Wir freuen uns auf den Start an Neujahr und bleiben an allen Themen des ÖPNV dran.

Viertens stehen wir zu unseren Vorschlägen, Ideen und Konzepten, auch und vor allem dann, wenn sich der übliche raue Gegenwind einstellt – der Kampf um unser Klima und die notwendige Überzeugungsarbeit vor Ort sind nicht immer lustig. Über die Arbeit im Energieteam sickerte im Laufe des Jahres durch die akribische Zuarbeit unserer Mitbürger Hans-Jörg Pfau und Rolf Haag die Erkenntnis durch, dass für unsere Klimaneutralität bis 2040 in der Stadt durchschnittlich jeden Monat eine Dachflächen-PV-Anlage und insgesamt 15 Freiflächen-PV-Anlagen wie die beidseits der A 96 geplante beantragt und installiert werden müssen. Beide Aufgaben sind alleine im Blick auf die Handwerker*innenleistung als auch auf die formale Logistik kaum umsetzbar, vor allem aber braucht es dafür in unserer Stadt – und überall woanders auch – einen Gemeinsinn und eine Überzeugung, die nicht nach dem St. Floriansprinzip – neuhochdeutsch nimby, not in my backyard – alles verhindern will, was einem nicht in die private Optik passt. Wir als Gemeinderät*innen aller Fraktionen und der Gruppierung müssen unserer Verwaltung, die die Zeichen der (Klima)zeit erkannt hat, vorbehaltlos den Rücken stärken, falls wir es ehrlich meinen.

Das bedeutet fünftens, wir stellen keine seitenlang zu später Stunde und prominent verlesenen Anträge zum Klima wie jüngst hier zum Quartierskonzept Waltersbühl und einem unzweifelhaft wünschenswerten weiteren Nahwärmekraftwerk, sondern freuen uns über jedes gemeinsame Zusammenhalten bei Klimamaßnahmen hier im Rat, Handeln statt langer Worte! Ein guter Test hierfür wäre eine gemeinsame klare Haltung gegen jede Aufweichung und Ausnahmeregelung der beschlossenen Konzeption zur Parkraumbewirtschaftung, wie sie dieser Tage von denen gefordert wird, die über die Bequemlichkeit ihres individuellen Kfz-Betriebs in keiner Weise nachdenken oder an dieser gerüttelt sehen wollen, ausgerechnet junge Menschen, die die Folgen des Klimawandels viel klarer erleben werden als die von Fridays For Future (FFF) für ihr Zögern attackierten Älteren.

Und sechstens lässt uns der Umgang mit unseren Anträgen, mit Verlaub, schon etwas stutzen, Stichwort Altstadtverkehrsberuhigung. Ich drücke es einmal ganz positiv aus: eigentlich zweifelt ja wirklich niemand daran, welches tolle Flair unsere Altstadt insbesondere in der warmen Jahreszeit ausstrahlt, wie sehr die Menschen das Bummeln, das Verweilen, das sich Begegnen, das Einkehren und das Einkaufen genießen. Braucht es dazu das Auto, das Vorfahren und Einladen direkt vor dem Lokal oder dem Geschäft? Nein, gewiss nicht! Was aber wird aus unserem diesbezüglichen Antrag? Erst findet er 2020 eine Mehrheit, die Verwaltung legt einen durchdachten Vorschlag für eine Versuchsphase in 2021 vor, dann sind ein paar wenige strikt dagegen und lösen einen Flächenbrand – neuhochdeutsch shitstorm – aus und jetzt zieht sich die Verwaltung ängstlich auf die Idee eines einmaligen (?) Events im kommenden Sommer 2022 zurück. Das alles macht uns schon nachdenklich.

Soviel zum Thema Ökologie, ich kann hier nicht alles abarbeiten, vielleicht noch den folgenden uns wichtigen Hinweis an alle damit befassten Stellen: achten Sie dringend darauf, dass alle von uns beschlossenen Ausgleichsmaßnahmen in der Stadt und in den Ortschaften zeitnah umgesetzt werden, wir sind hier alle in der Verantwortung für Natur und Klima!

Ich möchte die Aspekte der ökonomischen und der sozialen Nachhaltigkeit zusammenpacken, sie gehören für mich in diesem Jahr 2022 und den folgenden bis zur Landesgartenschau zusammen. Unsere Stadt erzielt Jahr für Jahr immer noch höhere Gewerbesteuereinnahmen, Corona und allen anderen denkbaren wirtschaftlichen oder konjunkturellen Dellen zum Trotz. Dies gelingt nicht ohne Grund: maßgeblich ist die spezifische Mischung unserer Branchen und Betriebe einschließlich der im Verborgenen blühenden, der „hidden champions“, wie Sie, Herr Sonntag, so schön sagen. Die 20 Mio. €-Grenze wird in diesem Jahr geknackt und 2022 setzen wir mit der üblichen vorsichtigen Zurückhaltung 18 Mio. € an. Das ermöglicht, zusammen mit einer Reihe weiterer positiver Effekte, eine Investitionstätigkeit in Höhe von fast 37 Mio. €, nochmals über 10 Mio. € mehr als die in 2021 geplante. Dass die Verwaltung einen solchen Haushalt mit einem geplanten Minus von über 4 Mio. € vorab dem Regierungspräsidium erläutern muss, ist verständlich, dies war aber wohl auch in Tübingen nachvollziehbar, geht es letztlich doch nur um eines: die Landesgartenschau 2024.

Schaut man sich aktuell in Wangen um, stellt man so viel aktive Baustellen fest, dass fast im Wochentakt die Veränderungen an den interessanten Orten erkennbar sind. Entlang der Argen, gegenüber der Altstadt, rund um den Festplatz, auf der Argeninsel, bei den großen Baumaßnahmen am Auwiesenweg, auf der Düsterwiese, dem Kernort der Ausstellung, an den gewerblichen und privaten Vorhaben im unmittelbaren ERBA-Gelände, an den Radwegen und ihren geplanten Brücken. Die Stadtgärtnerei erhält ihren neuen Platz, die Schwierigkeiten um die Reithalle scheinen gelöst genauso wie die nachbarschaftliche Verträglichkeit mit der Waldorfschule, türkisches und jetzt auch das portugiesische Vereinsheim im Lindenhof wurden und werden fertig, Leben zieht ein in den schönen Gebäuden von wohnen+ und in den ehemaligen Arbeiterhäusern und bald kann vielleicht auch der längst fertiggestellte Durchgang unter dem Kanal eröffnet werden.

Die Vorbereitungen für die Landesgartenschau Wangen 2024 laufen, zwar eilig, aber eben im Plan, und die Schau in Überlingen hat vielen Besucher*innen aus Wangen ein überzeugendes Vorbild gegeben. Alle bisherigen baulichen Maßnahmen atmen moderne Ideen, im Nutzungsgedanken für Gewerbe und den dringend notwendigen Wohnungsbau, im Baustil und in der Verwendung des Baumaterials Holz. Und die bisherige Finanzierung liegt auch im Plan, kleinere Ausreißer z.B. bei überraschenden Altlasten konnten wir auffangen. Wir von der GOL können also bisher für unser großes Vorhaben Nachhaltigkeit attestieren, im finanziellen Sinne und im ökologischen, auch wenn das Fallen und Versetzen von Bäumen im Frühjahr durch die damit verbundenen Veränderungen Emotionen freigesetzt hat.

Bei allem Lob und aller Zuversicht möchte ich dennoch warnend den Zeigefinger heben. Lassen wir bei aller Begeisterung über das Entstehende nicht die soziale Nachhaltigkeit außeracht, wir müssen alle Menschen in unserer Stadt mitnehmen auf die Reise nach 2024, aber auch in die Zeit danach, darauf habe ich in mehreren Haushaltsreden für die GOL hier hingewiesen. Möglicherweise unnötiger Kristallisationspunkt solch kritischer Gefühlslagen könnte der angedachte hölzerne Aussichtsturm auf dem Schönbühl werden, nicht allein aus finanziellen Erwägungen – das Projekt befindet sich gerade in der Entscheidungsphase über einen Zuschuss -, sondern auch im Blick auf die Psychologie: bleibt Wangen so gut geerdet wie man es kennt oder hebt es ab? Die Antwort ist noch offen und sie verlangt von den Verantwortlichen Fingerspitzengefühl!

Der Ausgangspunkt aller Planungen war das Wiederaufleben von Gewerbe, Arbeiten, Wohnen und Leben in dem Stadtteil, der einst als „Textilstadt“ weit vor den eigentlichen Toren Wangens entstanden war, der ERBA. Dem ERBA-Museumsverein aber im Endausbau gerade einmal 70 m² Fläche für seine Ausstellung in der Alten Schmiede oder eventuell im Keller der Alten Spinnerei zuzugestehen, weil es die Bedürfnisse des großen Investors so erfordern, bestätigt meine und unsere Skepsis gegenüber dem großen Geld, das sich unserer grundlegend sozial angelegten Schau auf dem Boden der ERBA zu bemächtigen droht. Angesichts von 170 Jahren Industriegeschichte regen wir daher an, die historische Bedeutung der ERBA dadurch zu würdigen, dass wir für die Erarbeitung einer Museumskonzeption auf die Unterstützung und den Rat externer Ideengeber*innen setzen. Eine stimmige Unterbringung während der Landesgartenschau und darüber hinaus muss selbstverständlich sein. Beides erfordert von uns nicht nur weiteres Fingerspitzengefühl, sondern auch finanzielle Mittel, vielleicht auch die für den Aussichtsturm eingeplanten, warum nicht?

Im Kern des neuen Wohngebiets ist ein wunderschöner Kindergarten geplant. Von unserer Seite wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um einen Umzug eines Kindergartens, nämlich dem des sehr sanierungsbedürftigen im Ebnet, sondern um einen notwendigen zusätzlichen städtischen Kindergarten handelt. Holger Sonntag hat jüngst, durchaus stolz, beim GOL-Stammtisch berichtet, das Durchschnittsalter der in Wangen aktuell Zuziehenden liege bei 31 Jahren. Eigentlich sonnenklar, dass es sich dabei ganz erheblich auch um junge Familien handeln muss, und deren wichtigstes Bedürfnis ist neben dem Arbeitsplatz, weswegen sie vermutlich nach Wangen gekommen sind, und adäquatem Wohnraum eine passende Betreuung ihrer Kinder. Die GOL fordert im Grunde seit Beginn dieser Legislatur die Wiederinstallation des Kindergartenausschusses, zuletzt meldete auch die CDU diesen Bedarf an. Ja, es wird anstrengend sein, sich die Vielfalt an Ideen, Vorschlägen und Bedürfnissen regelmäßig von Eltern- und Mitarbeiter*innenseite anzuhören, manches an Anspruch mag darin auch übertrieben sein, aber eine jährliche Sitzung des Verwaltungsausschusses mit Absegnen der Bedarfsplanung ist einfach zu wenig. Für eine moderne Aufstellung als kinder- und familienfreundliche Kommune müssen wir mehr tun als das gesetzlich Vorgeschriebene, und seien Sie sicher, Herr Lang und Frau Exo, der Aufwand wird sich lohnen.

Corona hat in jetzt bald zwei Jahren uns allen, Ihnen, Herr Oberbürgermeister, aber auch allen städtischen Mitarbeiter*innen an ihren jeweiligen Plätzen Enormes abverlangt, wird es absehbar weiterhin tun. Zeitgleich streben wir mit Macht und allem Einsatz dem Jahr 2024 mit dem epochalen Datum der Landesgartenschau in Wangen entgegen. Wir legen daher Wert darauf und bitten darum, dass alle betroffenen Mitarbeiter*innen mit großer Wertschätzung und, wo es rechtlich und organisatorisch möglich ist, auch mit finanzieller Großzügigkeit auf diesem Weg mitgenommen werden.

Im Sinne von Zusammenhalt und nachhaltigem sozialem Miteinander plädiere ich, auch wenn es nicht in unsere unmittelbare Zuständigkeit fällt, dafür, die Mitarbeitenden in unseren OSK-Kliniken, die zweitgrößte davon steht in Wangen und soll das hoffentlich weiterhin bleiben, mit Wertschätzung zu behandeln, sie leisten nicht zuletzt in der Corona-Krise Unglaubliches. Danke dafür!

Ich könnte noch länger weitermachen, auf unsere anstehenden Aufgaben beim nochmals völlig veränderten Hochwasserschutz im Sinne von Starkregenmanagement eingehen oder auf die ungelöste Problematik bei den Hangrutschen in Primisweiler und anderswo, angesichts der wenig attraktiven digitalen Kommunikationsform in unseren aktuellen Gemeinderatssitzungen möchte ich es beim Gesagten bewenden lassen. Nehmen Sie unsere Worte als Lob, nehmen Sie sie als Impuls und Ansporn, sie kommen bei uns stets aus Sorge um einen nachhaltigen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und der Menschen in unserer Stadt.

Ich schließe mit einem Satz aus meiner Haushaltsrede beim Kreistag vor nur vier Tagen: jedes geduldige und freundliche Wort, das zwischen Menschen fällt, ob sie sich kennen oder nicht, ist wichtig und zeigt, dass wir in der Krise zusammenhalten.

Die Entscheidung über die beantragte Erhöhung der Grundsteuer B überlassen wir mit Spannung dem Verlauf der nun folgenden Aussprache, den übrigen Punkten 1) bis 5) des Beschlussvorschlags stimmen wir als GOL zu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Tilman Schauwecker
Fraktionsvorsitzender